Die tiefe Kniebeuge ist eine sehr wertvolle Übung. Lass uns die Kniebeuge aber einmal nicht nur als sportliche Übung sehen, sondern als eine natürliche Bewegung UND eine natürliche Körperposition, wenn wir in ihrer tiefsten Position, in der Hocke, verweilen.
Erfreulicherweise erfahren solche – zur Zeit am liebsten funktionell genannten – Übungen beziehungsweise komplexen Bewegungen gerade eine Renaissance. Das sah bis neulich anders aus.
Vom Sitzen an Trainingsgeräten zum Functional Body Weight Training
Freie Kniebeugen genossen in den letzten 20-25 Jahren einen eher zweifelhaften Ruf, in der von Großgeräten dominierten Fitnesstraining-Szene wie auch unter Fitness Laien.
Als ich in den 1990ern erstmals in einem Fitnessstudio zu trainieren begann, spielten freie Kniebeugen in den meisten Studios keine Rolle mehr. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand in „meinem“ Studio schweres Kreuzheben oder schwere Kniebeugen mit der Langhantel auf den Schultern durchführte. Jedenfalls hat sie von uns niemand gemacht und sie wurden mir von keinem der Trainer gezeigt.
Statt dessen habe ich hauptsächlich an Geräten trainiert. Und das über Jahre hinweg. Immerhin für die Arme und die Schultern haben wir auch Kurzhanteln und die SZ-Stange verwendet.
Das Trainieren mit freien Gewichten, also mit Kurz- und Langhanteln, galt per se als zu gefährlich (bzw. zu zeit- und damit zu kostenaufwendig zum Zeigen..) und als ein Training „für Bodybuilder“. Trainer haben es in ihren Fitnesstrainer-Lizenz Ausbildungen erst gar nicht gelernt. Ich bin mir sicher, keiner der Trainer hätte mir den sicheren Umgang mit der Langhantel oder überhaupt auch nur richtige Kniebeugen zeigen können – das gilt bis weit hinein in die 2000er Jahre bzw. bis heute. Viele „Gesundheitsstudios“ haben die Freihanteln damals ganz abgeschafft.
Fitnesstraining und Krafttraining war bis neulich gleich Gerätetraining! Meistens im Sitzen oder Liegen. Freie Übungen (frei stehend) mit dem eigenen Körpergewicht plus Zusatzgewicht waren verdrängt und in Vergessenheit geraten. Ein echter Untergang an Bewegungskompetenz.
Aber zurück zu den Kniebeugen. :) Die Trainingsmeinungen haben sich gedreht. Sicherlich hast Du inzwischen schon gehört oder gelesen, dass die Kniebeuge eine hervorragende mehr-gelenkige Übung ist, die Po, Beine UND das Herzkreislaufsystem trainiert und damit neben einer Ganzkörper-Kraft- und Muskelaufbauübung auch ein wirksames Ausdauer und Stoffwechseltraining darstellt! Sie gehört inzwischen wieder zu den unumstritten „besten Kraft- und Fitnessübungen der Welt“.
Hier die Kniebeuge in der Grundform, nur mit dem eigenen Körpergewicht, ohne Langhantel, Stein oder Kettlebell.
Übungsausführung Kniebeuge
Etwa schulterbreiter Stand, Füße leicht nach außen gedreht:
Achte darauf, dass die Füße symmetrisch stehen, beide gleich weit ausgedreht und parallel auf einer gedachten Linie stehend
Schiebe nun ZUERST den Po nach hinten und geh auf diese Weise runter in die Kniebeuge. Also: ERST mit dem Po nach hinten, dann auch die Knie beugen und den Po weiter nach UNTEN HINTEN bringen. Stell Dir vor, Dich auf einen niedrigen Hocker setzen zu wollen, der etwas weiter hinten steht. Gehe so tief, wie Du noch mit beiden Füßen FLACH auf dem Boden stehen kannst. NICHT das Gewicht auf die Zehenballen verlagern und die Fersen hochkommen lassen!
ACHTE EBENSO darauf, dass Du NICHT X-BEINIG wirst. Spanne direkt zu Beginn der Kniebeuge, also beim Po nach hinten schieben, die Pomuskeln an und DREHE DIE KNIE/BEINE leicht nach außen. Du kannst Dir auch vorstellen, dass Du deine Füße jeweils nach außen IN DEN BODEN SCHRAUBST, allerdings OHNE dass sich deine Füße dabei weiter nach außen drehen! Achte dabei darauf, dass die Knie ständig
etwa über der Mitte deines Fußes bleiben
und in DIESELBE RICHTUNG zeigen wie Deine Füße!
Gehe auf diese Art unter Beachtung der o.g. Punkte(!) so tief, wie Deine Beweglichkeit es zulässt.
Häufige Fehler:
Die Knie nach vorne schieben (über die Zehen hinaus) –> Das belastet nur die Knie und nimmt den Gesäßmuskel aus der Übung raus. DANN ist die Kniebeuge wirklich eher schlecht für die Knie und Deine Hüftstrecker (Oberschenkelrückseite und Pomuskeln) werden nicht mit trainiert. Was schade ist.
Gegenmaßnahme: Hüfte beugen, Po rausschieben!
Beim Tiefergehen X-beinig werden; die Knie „kollabieren“, die Fußaußenseiten heben vom Boden ab und Du stehst auf den Fußinnenkanten. (Meist in Kombination mit Knie nach vorne schieben) –> Das belastet die Knie (Menisken und Bänder) jeweils unschön einseitig. Schau dabei mal an Deinen Beinen runter: Du kannst Dir vorstellen, wie das Gewicht Deines Körpers so „um die Ecken“ herum Richtung Boden abgeleitet wird, statt in geraden Linien Gelenk-gerecht gleichmäßig.
Gegenmaßnahme: Die Knie aktiv nach außen ziehen. Die Fußaußenkanten bewusst belasten.
Eine volle, tiefe Kniebeuge ist erreicht, wenn das Hüftgelenk etwas tiefer ist als die obere Kante der Kniescheibe. Also etwas tiefer als Oberschenkel parallel zum Boden. Diese Position wäre allerdings auch zunächst ein gutes Ziel.
Erst die Beine in Ordnung bringen, dann auch auf einen geraden Rücken achten
Bei der Kniebeuge ohne Zusatzgewicht ist zunächst wichtig, dass Du die Knie- und Fuß-Positionierung beachtest. Wenn Du das raus hast, kannst Du auch auf einen geraden Rücken achten: Halte den Rücken gerade (gestreckt); die Brust ein wenig nach vorne schieben („Orden präsentieren“; auch ein Stab hilft dabei (siehe Foto)), Du musst aber nicht stark in die Streckung gehen. Ein natürlich „langer“/aufrechter Rücken reicht.
Wenn Du noch nicht die Beweglichkeit hast, um bei korrekter Form so tief zu kommen, halte Dich an einem stabilen Gegenstand (Türrahmen, Pfahl) fest, gehe so tief Du mit gleichmäßig belastetem flachem Fuß und den Knien außen gehalten kannst und verharre in dieser Deiner tiefsten Position einige Sekunden. Wiederhole das täglich mehrmals – und Du wirst immer ein wenig tiefer kommen auch bei der freien Kniebeuge.
Auf dem Foto siehst Du, wie ich meine Beine in der tiefen Position mit meinen Armen zusätzlich nach außen drücke. Das erinnert einen daran, die Knie weit zu halten und „öffnet“ die Hüften und macht sie beweglicher.
Die tiefe Kniebeuge kann noch mehr
Hüft- und Kniebeugen sind ein ideales, anatomisch-physiologisch richtiges und gesundes Bewegungsmuster. Aber nicht nur für unseren gesamten Bewegungsapparat ist die tiefe Kniebeuge, beziehungsweise die tiefe Hocke, super. Auch die inneren Organe und der Beckenboden mögen es, wenn der Körper immer wieder derart in der Hüfte gefaltet wird!
In der tiefen Hocke hat die gesamte Menschheit über Jahrhunderttausende viel Zeit beim Arbeiten und Klönen verbracht, bevor zumindest für einen Teil der Bevölkerung Stühle Usus wurden. Für Millionen Menschen ist die Hocke aber auch heute noch eine Alltagsposition. Das sind die Menschen, die kaum Rückenprobleme haben.
Die tiefe Kniebeugeposition ist auch die ideale, natürliche Position
In der westlichen Welt hat die Anzahl an unnatürlichen Geburten per Kaiserschnitt rapide zugenommen. Ebenso leiden die Leute sehr häufig an Verdauungsstörungen und Verstopfungen. Natürlich hat alles meist mehrere Ursachen (wir können noch eine ganze Menge weiterer Dinge optimieren. Siehe auch meinen Beitrag über den primate reengineering-Ansatz der Biomechanikerin Katy Bowman), aber die Wiederentdeckung der tiefen Kniebeuge und der Hockposition kann hier einen großen Beitrag leisten!
Entspannt, frei und beweglich in der tiefen Hockposition
In der Hocke ist das Becken und der Beckenboden in einer geweiteten, potentiell entspannten Position. Das heißt umgekehrt, dass wir die Beckenbodenmuskulatur reflektorisch trainieren, wenn wir uns in der tiefen Hocke gerade NICHT entspannen wollen..;). Auch der Darm ist in der Hocke frei und nicht geknickt. Der Stuhlgang wird so wesentlich erleichtert.
Das ständige Sitzen auf Stühlen – und auf hohen Toilettenschüsseln – zusammen mit dem allgemeinen Bewegungsmangel, macht für die Meisten die tiefe Kniebeuge und die Hockposition zu einer ungewohnten Herausforderung. Entsprechend unbeweglich, verkürzt und verspannt sind eben alle beteiligten Gelenk- und Bindegewebestrukturen.
Die Kniebeuge wieder täglich zu trainieren und die Beweglichkeit für die tiefe Hocke, auf dem flachen Fuß stehend, zurück zu erobern, ist ein überaus vorteilhaftes Unterfangen.
Schau Dir hier das skurril-spaßige Werbevideo für den „SquattyPotty“ an, das die Vorteile eines spitzen Hüftwinkels beim „poopen“ schön veranschaulicht :)
Einen solchen für unsere Toilettenschüsseln designten Squatty Potty zum Füße hochstellen für die optimale Stuhlgangposition findest Du hier.
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