„Fitness“ als vielseitige Körperbeherrschung

Der „Fitness“-Begriff ist nicht eindeutig definiert. Je nach Standpunkt und Sichtweise (Sportwissenschaftler, Kardiologe, Marathonläufer, Kraftdreikämpfer, Arbeitgeber, Senior,…) werden wir verschiedene Schwerpunkte genannt bekommen, wenn beschrieben werden soll, wann man „fit“ ist.

Eine möglichst allgemeine und umfassende Definition von bewegungsbezogener Fitness könnte zum Beispiel lauten: „Mentales und körperliches Angepasstsein an ein vielfältiges Alltags- und Bewegungsverhalten“. Hierbei gibt es auch keinen Unterschied mehr zwischen Fitness- und „Gesundheitssport“. Aber wie sieht unser Alltag und unser Bewegungsverhalten aus? Vielfältig, freudvoll, spielerisch und bewegungsreich?

Wir haben uns eine Umwelt geschaffen, für die wir nicht geschaffen sind

Seit Übergang des größten Teiles der Menschheit von Jäger- und Sammler-Kulturen zur Agrargesellschaft vor rund 12.000 Jahren und dann noch einmal immens verstärkt seit der Industrialisierung in den letzten gut 200 Jahren haben sich die Lebensverhältnisse für unsere Art radikal verändert. Die technischen und kulturellen Erfindungen und Errungenschaften des modernen Menschen sind faszinierend, oft nützlich und angenehm. Aber sie haben eine Kehrseite, an der sehr viele von uns zu knapsen haben: „Zivilisationskrankheiten“ und -Beschwerden. Der Grund dafür liegt – neben der veränderten Ernährung –  am immer Weniger an täglicher abwechslungsreicher Bewegung. Unser Körper, unser Organismus, jede unserer 100 Billionen Zellen hat sich über Millionen von Jahren (vermutlich über Homo erectus vor 2 Millionen Jahren zum aktuellen Homo sapiens seit mind. 200.000 Jahren) ohne Autos, Stühle und PCs entwickelt. Das Leben, das wir seit kurzem wie selbstverständlich führen, ist nur für unser Großhirn „normal“.

Bewegungslernen statt Fitness-Entertainment

Spielplatz-Fitness
Danebensitzen oder mitbewegen?!

Sprinten, springen, laufen, kriechen, krabbeln, rollen, hangeln, beugen, strecken, ziehen, drücken, in die Hocke gehen und mühelos wieder aufstehen (ohne davon Knieschmerzen zu bekommen), den eigenen Körper kontrolliert durch die verschiedenen Ebenen des Raumes bringen und in den verschiedenen Positionen stabilisieren können: All diese Bewegungen und Bewegungsmuster, die wir bestenfalls kurzzeitig in unserer Kindheit erfahren und gekonnt haben, sind auch im Erwachsenenalter für einen gesunden und jung bleibenden Körper essentiell. „Werdet wie die Kinder“ kann nicht nur für die geistige, sondern auch für die körperliche Perspektive gelten.

Für mich als Fitnesstrainer steht daher seit einiger Zeit das Bewegungslernen, die Vermittlung von Bewegungskompetenz an übergeordneter Stelle. Einzelne und isolierte „Übungen für die Schultern“ bringen gerade auch für die Rückengesundheit des durchschnittlichen Sitzmenschen auf Dauer genauso wenig Erfolg wie der Einsatz möglichst oft wechselnder technischer „Innovationen“ und Kleingeräte oder schmissige Choreografien zu Musik. Solche „Ausgleich“-Sportangebote können durchaus momentane Erleichterung und Freude bereiten und berechtigte Elemente unseres Fitnessrepertoires sein. Aber machen Sie die Trainierenden in Sachen Bewegung grundlegend eigenständiger und kompetenter?

Immer wieder kann ich die Erfahrung machen, dass teils langjährige TeilnehmerInnen von Sportgruppen, Trainierende von Sportarten oder im Fitnessstudio keine korrekte, tiefe Kniebeuge oder keine Rumpfbeuge mit geradem, gestrecktem Rücken ausführen können. Natürliche Bewegungsmuster und -fähigkeiten, die für jeden Sport und im (beruflichen) Alltag essentiell sind. Diese Freizeitsportler laufen dann trotz Zumba und Gerätetraining immer noch mit dem Kopf vor dem Körper herum und wissen nicht, ob ihr Rücken gestreckt oder gerundet ist, wenn sie sich vorbeugen.

Wenn wir uns wieder frei, vielfältig, mehrgelenkig und ganzkörperlich, und dabei doch physiologisch und Gelenk-schonend zu bewegen lernen, sowohl im Alltag wie auch in unseren speziellen Trainingseinheiten, werden wir nach und nach beweglicher, koordinierter, stabiler – und gesünder. Von hier aus wird sich unser Bewegungsverhalten immer vielfältiger, freudvoller und nachhaltiger gestalten.